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Ein Wehrkraftzersetzer aus dem Ötztal

Ein Mensch stellt sich gegen Hitlers Eroberungsfeldzug.
Wird verhaftet. Landet im Innsbrucker Polizeigefängnis.
Dann in Dachau.
Und wird schließlich in Mauthausen umgebracht.

Und vergessen.

Franz Schöpf wird 1897 als erstes von 15 Kindern des Johann und der Anna Maria Schöpf in Astlehn, Gemeinde Längenfeld im Ötztal, geboren. Mindestens vier seiner Geschwister sterben gleich nach der Geburt oder noch im Vorschulalter. Die Eltern, Hausname „Jochls“, sind Bauersleute, Franz selbst ist zunächst Taglöhner, im Trauungsbuch 1924 wird er als Händler vermerkt, später scheint er als Tischler und Feinmechaniker auf. Otto Schöpf, ein entfernter Verwandter, hat mir im Mai 1986 erzählt, der Franzl habe „keinen richtigen Beruf“ gehabt, aber „allerhand Basteleien gemacht“, so habe er auf ein Haus „auf der Mühl“ in Huben „den Spruch draufgemalt“. Der Franzl, bringt er es auf den Punkt, „ist ein wenig ein Tausendkünstler gewesen“. Noch heute ist in der Überlieferung von seinem „vorlauten Mundstück“ die Rede. Ihm sei es egal, wo man ihn begrabe, soll Schöpf einmal zum Längenfelder Pfarrer gesagt haben, der ihn gedrängt habe, doch ein wenig mehr in die Kirche zu gehen, um auch einmal in geweihter Erde begraben zu werden; ihm sei das egal, wo er begraben werde, von ihm aus am Giggelberg (oberhalb von Längenfeld), und ein wenig Neuschnee sollte es haben, damit man die Spur des Teufels sehen kann („a kloas Schneable selt’s hobm, dass man en Tuifl gspiert“). Nach Ansicht seines Vetters Otto habe er sich mit solchen Reden versündigt.


Längenfeld – Astlehn: Geburtshaus von Franz Schöpf


Wir wissen (noch) recht wenig über Schöpfs politische Einstellung. Fakt ist, dass er am 12. Dezember 1938 bei der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Innsbruck eingeliefert wird. Der Verhaftung muss zumindest eine frühere Verhaftung durch die Polizei vorausgegangen sein. Mein Vater hat mir vor mehr als vier Jahrzehnten erzählt, dass der Franzl von Polizisten abgeholt worden sei und von diesen im Zug nach Innsbruck hätte gebracht werden sollen. Dabei soll sich folgender Dialog entwickelt haben. Einer der Polizisten: „Franz, da hast du wohl einen Blödsinn gemacht.“ Franz: „Mach dir nichts draus, vielleicht bin ich früher daheim wie du.“ In Zirl soll er dann aus dem fahrenden Zug gesprungen und wirklich bald wieder zuhause gewesen sein. Als er aber im Dezember 1938 ins Innsbrucker Polizeigefängnis eingeliefert wird, kommt er freilich nicht mehr davon. Er verbleibt in Gestapohaft bis zum 13.2.1939, dem Tag, an dem er nach Dachau „überstellt“ wird, wo er am 15.2. mit der Zugangsnummer 32483 als „Schutzhäftling“, der Bezeichnung für politische Gefangene, registriert wird. Als vormalige Wohnadresse wird „Längenfeld 90“ (sein Elternhaus) angegeben, als Beruf „Koch“.



Karteikarte der Gestapo in Innsbruck:
„Haftgrund: Vom Bez. Gericht anher zur Verfügung“, „Endverfügung / Schub: Durch Gestapo nach Dachau überstellt“



Was hat Franz Schöpf verbrochen?

In der Längenfelder Pfarrchronik wird Franz Schöpf als Kommunist verunglimpft, dies wohl wegen seiner Äußerungen gegenüber dem Pfarrer. Ein Zeitgenosse hat ihn mir gegenüber einmal als Lump bezeichnet, der nirgends mitgemacht habe. Ein heute Befragter, der das ja nur auf dem Weg der stillen Post erfahren haben kann, will wissen, dass er dem Alkohol zugesprochen habe. Solche diffamierende Beurteilungen brauchten Leute damals und brauchen viele auch heute, um jemanden, der aus dem System ausschert, zu brandmarken und damit ihr eigenes Handeln oder - wie speziell im Falle der Nazi-Zeit – Nichthandeln zu rechtfertigen.

Was also hat er verbrochen? Verhaftet wurde er wohl wegen sogenannter „wehrkraftzersetzender Äußerungen“. Hitler hatte seinen geplanten Angriffskrieg bekanntlich als notwendigen Kampf um Lebensraum für das deutsche Volk propagandistisch vorbereitet. Dieser angeblichen Notwendigkeit widersprach Schöpf laut Überlieferung häufig und öffentlich. In der Version meines Vaters hat er gesagt: „Soll sich der Hitler darum kämpfen, ich habe mir Lebensraum genug.“ Das war „Untergrabung des völkischen Wehrwillens“, wie es damals hieß, und mit der Todesstrafe bedroht.
Am 26. August 1939, wenige Tage vor dem Überfall der Wehrmacht auf Polen, tritt die verschärfte Kriegssonderstrafrechtsverordnung in Kraft. Schöpf ist zu dieser Zeit bereits seit einem halben Jahr im KZ Dachau. Sein Vetter Otto erzählt: „Recht hat er mit seiner Verweigerung schon gehabt, aber sagen hätte er es nicht sollen. In Dachau hätte er ‚abschwören‘ sollen. Das hat er nicht getan und ist auf Mauthausen gekommen. Dort ist er wohl derschlagen worden.“ (Gespräch 14. Mai 1986).




Zugangsbuch KZ Dachau


Und, richtig, am 27. September 1939 geht Franz Schöpf mit einem Transport aus Dachau ab und wird ins KZ Mauthausen überstellt, das einzige Vernichtungslager („Vernichtung durch Arbeit“) auf deutschem und österreichischem Boden. Während er dort im Steinbruch zu Tode geschunden wird, im Winter 1939/40, finden in seinem Heimatort Längenfeld Außenaufnahmen für den Nazi-Film „Geierwally“ statt. Ein riesiges Volksfest wird nachgestellt, mit ganz vielen Einheimischen als Komparsen.





„Geierwally“- Aufnahmen in Längenfeld unter der Regie von Hans Steinhoff, der NS-Propagandafilme wie „Hitlerjunge Quex“ oder „Gestern und heute“ (über die Notwendigkeit des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich) gedreht hat


Am 18. Februar 1940 vermerkt das Abgangsbuch von Mauthausen den Tod des Schutzhäftlings Franz Schöpf. Die Todesursache wird, wie auch bei anderen ermordeten politischen Häftlingen, mit „Grippe“ kaschiert.





Abgangsbuch KZ Mauthausen und Eintrag des „Abgangs“


Der Wehrdienstverweigerer Schöpf kommt, eh klar muss man da sagen, in der über den Widerstand im Ötztal in eigener Sache zusammenphantasierten Heldengeschichtsschreibung eines Wolfgang Pfaundler nirgendwo vor. Franz Schöpf ist ja nur für seine Überzeugung umgebracht worden.
Und von einem auch nur in irgendeiner Form ehrenden Erinnern an ihn ist in dessen Heimatgemeinde Längenfeld auch an seinem jetzt schon 80. Todestag noch immer nichts zu sehen und zu hören.



Franz Schöpf

Längenfeld 9.7.1897 – Mauthausen 18.2.1940



12.2.2020


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